Vorschlag zu einem neuen Europäischen Gesetz zur
Barrierefreiheit: Ein neues, barrierefreies Europa für blinde und sehbehinderte
Menschen?

Von Dan Pescod, Campaigns Manager, RNIB.

Zugang verweigert

Im November 2014 führte die EBU in unserm Bericht “Zugang verweigert” Beispiele für unzugängliche Produkte und Dienstleistungen an, die ohne weitreichende EU-Gesetze auch unzugänglich bleiben würden.

Darunter fanden sich beispielsweise wichtige Geräte des Alltags wie Geldautomaten, Fernseher und Computer.

http://www.euroblind.org/news/nr/2569

Zugang gestaltet?

Technologie und Wissen zum Abbau dieser Barrieren sind durchaus vorhanden. Die Tatsache, dass einige Geldautomaten, Telefone, Computer usw. bereits zugänglich sind, stellt dies unter beweis. Die meisten dieser Geräte sind jedoch immer noch nicht barrierefrei zugänglich. Solange es kein Gesetz gibt, das ein inklusives Design für derartige Produkte vorschreibt, werden sie weiterhin für blinde und sehbehinderte Menschen unerreichbar bleiben.

EGB als Retter in der Not?

Ein wichtiges Gesetz, das wir zum Abbau dieser Barrieren immer wieder gefordert haben, war das sogenannte “Europäische Gesetz zur Barrierefreiheit” (in diesem Artikel fortan EGB genannt), das die Kommission bereits 2011 versprochen hatte.

Also war die EBU Anfang Dezember 2015 hoch erfreut darüber, dass die Kommission den Entwurf zum EGB zur Abstimmung gebracht hat.

Die neu vorgeschlagene Richtlinie fordert die Barrierefreiheit von Gütern und Dienstleistungen für Behinderte und andere Menschen mit “funktionellen Einschränkungen”.

Verbesserung des Binnenmarkts, Verbesserung der Barrierefreiheit. oder beides?

Der Entwurf zum EGB strebt lediglich die Harmonisierung von Gesetzen dort an, wo die Kommission Verbesserungsmöglichkeiten für den EU-weiten Binnenmarkt sieht und nicht etwa die Abschaffung von Diskriminierung in allen Bereichen, wo es unzugängliche Produkte oder Dienstleistungen gibt.

In gewissem Sinne passt dieser Ansatz zum digitalen Binnenmarkt der EU, oder zur sogenannten “DBM”-Initiative, die sich ebenfalls stärker auf die Verbesserung des EU-Binnenmarkts konzentriert und daher auch keinen umfassenderen Namen hat wie etwa “Digitale EU für alle”oder “Eine digitale Gesellschaft”.

Diese Unterscheidung–“Markt statt Gesellschaft”- ist wichtig. Warum? Weil es einige Bereiche gibt, in denen Diskriminierung herrscht, die umgehend mittels EU-Richtlinien “repariert” werden müssen, für deren Fall es aber keine Harmonisierung zu gebenscheint und durch die somit der “Binnenmarkt” der EU nicht verbessert würde. In diesen Bereichen, sagte man uns jedenfalls, ist der geltende EU-Gesetzesrahmen am wahrscheinlichsten die von der EU vorgeschlagene Gleichstellungsrichtlinie” und nicht das EGB. Es gibt zur Gleichstellungsrichtlinie aber schlechte Nachrichten. Sie stagniert schon seit Jahren, da einige Mitgliedstaaten sich dagegen aussprechen.

Für Gesetze, die sich an die Gesellschaft richten, bedeutet das harte Zeiten in Europa, denn Sparmaßnahmen sind überall Gang und Gäbe, mehr “Arbeitsplätze und Wachstum” oberstes Ziel der EU.

Trotz dieses politischen Kontexts besteht für uns mit dem Vorschlag zum EGB die Chance, einen echten Fortschritt in die richtige Richtung zu unternehmen.

http://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=en&catId=89&newsId=2400

Der EGB-Vorschlag

Der Vorschlag zum EGB umfasst Computer Hardware und Betriebssysteme, Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-in-Automaten, Telefone und Smartphones, Tablets, Fernseher, Shopping, Banking Dienste, E-Books und Webseiten von Verkehrsunternehmen, und all das begrüßen wir sehr.

Trotz der Tatsache, dass wir über den Vorgebrachten Vorschlag sehr erfreut sind und ein Großteil der Inhalte bei uns positiv aufgenommen wurde, haben wir einige Bedenken, die wir in unserer ursprünglichen Antwort an die Kommission über den Vorschlag zum Ausdruck gebracht haben:

http://www.euroblind.org/press-and-publications/publications/nr/46

Der Rahmen

Es gibt viele Produkte und Dienstleistungen, die dieser Vorschlag nicht beinhaltet und die unserer Meinung nach enthalten sein könnten und auch sollten. Um nur ein Beispiel zu nennen, obwohl Geldautomaten zwar enthalten sind, sind Bezahlterminals, die Kunden mit Kreditkarten in Geschäften einsetzen nicht im Rahmen des Gesetzes enthalten. Die Logik dieses Ausschlusses können wir nicht nachvollziehen.

Ausnahmen zur neuen Regel

Die Vorschlag der EU-Kommission sieht Ausnahmen bei der Einhaltung des Gesetzes vor, etwa wenn Unternehmen der Meinung sind, die Umsetzung sei zu kompliziert oder zu teuer für sie, damit ihr Produkt oder ihre Dienstleistung barrierefrei wird. Wir haben um eine Klarstellung bezüglich dieser Ausnahmen gebeten und verlangen hohe Sicherheitsmechanismen, um einem Missbrauch in dieser Hinsicht vorzubeugen. Wir wollen kein Gesetz, dass sich für diejenigen als Optional entpuppt, an die es eigentlich Anforderungen stellen sollte!

Auch würden wir gern einige Passagen des Vorschlags zum neuen Gesetz besser im Wortlaut verstehen. Fairnesshalber sei jedoch der Kommission gegenüber angemerkt, dass es schwer ist, ein EGB so zu Verfassen, dass es genügend Barrierefreiheit einfordert, “Zukunftssicher“ ist und deutlich erklärt, welche Funktionen barrierefreie Produkte oder Dienstleistungen haben sollten. Wir möchten gern mit der Kommission und anderen Interessengruppen zusammenarbeiten, um den Wortlaut zu stärken und klarer zu gestalten, wo dies nötig ist.

Was nun?

Wir haben uns bereits mit wichtigen Vertretern der Kommission, des Rates und des Parlaments getroffen, um den Gesetzentwurf zum EGB zu erörtern. Wir arbeiten an diesem Thema mit unseren Freunden vom Europäischen Behindertenforum und ANEC zusammen.

Wir werden den Prozess im Auge behalten und unsere Kommentare dazu abgeben und auf ein starkes, wirklich effektives EGB drängen.

Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Wenn wir aber ein gutes EGB bekommen, hat Europa wirklich einen großen Schritt getan, dass es endlich für Blinde, Sehbehinderte und Menschen mit anderen Behinderungen barrierefrei wird. Und das ist in der Tat ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.