Europäisches Barrierefreiheitsgesetz: Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments in erster Lesung

Im Dezember 2015 wurde der Vorschlag für ein EU-weites Europäisches Barrierefreiheitsgesetz (EBG) von der Europäischen Kommission vorgebracht, durch das Herstellung, Vertrieb und Schaffung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen wie etwa Banken, Telefondienste und audiovisuelle Medien sowie Verkehr und E-Commerce endlich zur Pflicht werden sollen. Seitdem wurden innerhalb der zuständigen EU-Institutionen lange, anstrengende und ausgiebige Verhandlungen geführt. Die EBU, der EDF, die Age-Plattform, Anec und viele andere Europäische und nationale Organisationen, die die Interessen von über 80 Millionen behinderten Menschen vertreten, haben sich gemeinsam für ein weitgefasstes und starkes EBG eingesetzt, das die Interessen und Grundrechte behinderter Menschen über diejenigen öffentlicher und privater Unternehmen stellt.

Nun haben wichtige Vertreter der Industrie, nationale Regierungen und öffentliche Entscheidungsträger versucht, die EU-Institutionen dahingehend zu beeinflussen, den ursprünglichen Vorschlag der Kommission so aufzuweichen, dass Unternehmen geschützt, Mehrkosten vermieden und die öffentliche Hand sowie private Unternehmen aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Die Ergebnisse dieser gegensätzlichen Forderungen der Behindertenbewegung einerseits, sowie der Industrie und weiterer Interessengruppen andererseits, führten zur Annahme des ersten Abschlussberichts, über den im Plenum des EU-Parlaments am 14. September 2017 abgestimmt wurde. Der Abschlussbericht wurde mit 537 Stimmen dafür, 89 Enthaltungen und 12 Gegenstimmen durch die Europaabgeordneten angenommen. Einen ausführlichen Artikel über die Bedeutung, die wichtigsten Anforderungen und Forderungen der EBU zum EBG können Sie im vorigen EBU-Newsletter nachlesen.

Sehr positiv ist jedoch, dass der Abschlussbericht zum EBG die EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die gebaute Umgebung bei Dienstleistungen und Produkten mit zu berücksichtigen, die in den Wirkungsrahmen des EBG fallen. Das bedeutet beispielsweise, dass nicht nur ein Fahrkartenautomat barrierefrei sein muss, sondern auch die unmittelbare Umgebung wie der Weg dorthin, das Gebäude, eine Kreuzung oder der Bahnhof, an dem er aufgestellt ist. Leider trifft diese Verpflichtung nur auf neue Gebäude oder bei grundlegenden Renovierungen zu. Beim ursprünglichen Vorschlag überließ es die Kommission den EU-Mitgliedsstaaten, die gebaute Umgebung in ihre nationalen Gesetze einzubeziehen. Dies stellt für die Behindertenbewegung einen wunderbaren Erfolg dar, der gestärkt werden muss, um eine Barrierefreiheit vor neuen Renovierungsmaßnahmen oder Neubauten zu gewährleisten.

Ein weiterer bemerkenswerter Erfolg für uns ist, dass das EBG sich auch auf andere wichtige EU-Rechtsakte bezieht, die die EU zu Subventionen und Investitionsmaßnahmen im Bereich Barrierefreiheit verpflichten. Die Anforderungen an Barrierefreiheit beziehen sich dabei auf Verordnungen, die die öffentliche Hand auf vielen Gebieten betreffen, vom Europäischen Strukturfonds bis hin zu EU-Investitionsfonds für Transport und Infrastruktur und weiteren wichtigen EU-Fonds. Damit ist gewährleistet, dass die Steuern der EU-Bürger zur Finanzierung barrierefreier Gebäude, Verkehr und für weitere barrierefreie Produkte genutzt werden, die im Wirkungsramen des Gesetzes liegen.

Gesetze unterschiedlicher Sektoren, die Produkte und Dienstleistungen Betreffen und sich auf das EBG beziehen, müssen ihre Anforderungen an Barrierefreiheit mit den funktionellen Anforderungen an Barrierefreiheit angleichen, wie sie das EBG enthält. Das wird in der Praxis zu konsequenten Anforderungen an Barrierefreiheit führen, die EU-weit Anwendung finden, was die Produktion harmonisieren und innerhalb der EU einen einheitlichen Standard für Barrierefreiheit schaffen wird.

Das EU-Parlament sprach sich sehr für die Teilnahme von Behindertenorganisationen am Konsultations- und Entwurfsprozess aus. Beispiele sind u. a.: der Entwurf von Leitlinien für Unternehmen zur Evaluierung einer unverhältnismäßigen Belastung oder Mittel zur Unterstützung nationaler Marktregulierungsbehörden bei der Bestätigung oder im Entscheidungsprozess zur Frage, ob sie Ausnahmen für die Barrierefreiheitsanforderungen des Gesetzes gewähren oder ablehnen. Die EU-Mitgliedsstaaten sind dazu verpflichtet, nationale Datenbanken einzuführen, in denen nicht barrierefreie Produkte und Dienstleistungen aufgelistet werden. Des Weiteren müssen Verbraucher über Beschwerdemaßnahmen informiert werden, wenn sie von der Nutzung nicht barrierefreier Produkte und Dienstleistungen betroffen sind.

Der endgültige Bericht des EU-Parlaments sieht vor, dass außer Geldautomaten, Check-in- und Fahrkartenautomaten und Banking Terminals auch Bezahlterminals für Dienstleistungen, die in den Rahmen des EBG fallen, barrierefrei sein müssen. Das ist ein wichtiger Meilenstein in diesem Bereich, da es noch immer an Anforderungen an Barrierefreiheit für Bezahlterminals mangelt.

Wie bereits erwähnt enthält der Abschlussbericht auch einige neue Anforderungen, die sehr negative Auswirkungen auf eine Verbesserte Barrierefreiheit von Waren und Dienstleistungen hätten, sofern sie in die Praxis umgesetzt werden würden.

Kleinstunternehmen sind von den Verpflichtungen dieser Verordnung ausgenommen. Folglich bedeutet dies, dass kleinere Verlage oder kleine Onlinehändler nicht dafür sorgen müssen, dass ihre E-Books und Webseiten barrierefrei sind. Mittelständische Unternehmen sind immer noch nicht dazu verpflichtet, Regulierungsbehörden zu informieren, wenn die von ihnen erstellten Produkte und Dienstleistungen nicht barrierefrei sind. Sie müssen nur dann Auskunft über die Gründe ihrer Nichteinhaltung erteilen, wenn die Regulierungsbehörden diese Informationen anfordern.

Leider hat das EU-Parlament auch einige andere negative Bedingungen angenommen, die später gründlich auf der EBU-Webseite analysiert werden sollen.

Der Europäische Rat hat seine abschließende Position noch nicht veröffentlicht. Sieht man sich jedoch kürzlich veröffentlichte Berichte an, sind die Aussichten nicht gerade vielversprechend. Es liegt nun an uns, die nationalen Regierungen zu überzeugen, sich für ein starkes EU-Gesetz zu engagieren, das Barrierefreiheit als weitgefasstes, lohnendes und erreichbares Ziel und als Voraussetzung in diese Verordnung integriert.