Das Europäische Barrierefreiheitsgesetz – Ein Versprechen für mehr Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte EU-Bürger?

Eines der wichtigsten Prinzipien der EU-Gründung war es, Barrieren abzubauen sowie den grenzübergreifenden Austausch und Handel innerhalb des EU-Binnenmarkts zu erleichtern, also einen besseren Zugang zu Waren, Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt für EU-Bürger zu gewährleisten. Die EU-Mitgliedstaaten sollten über die Richtigen Werkzeuge und das Wissen verfügen, um Wachstum und Wohlstand in ihrem jeweiligen Land zu unterstützen, hin zu einem florierenden, verbundenen und barrierefreien Europa für alle. Zwar haben die EU-Institutionen und ihre Mitgliedstaaten große Anstrengungen unternommen, ein barrierefreies Europa zu schaffen, das den Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie mehr Flexibilität beim Reisen und Arbeiten im Ausland ermöglicht, jedoch ist der Zugang zu all diesen vielversprechenden und selbstverständlichen Chancen für behinderte Bürger immer noch sehr eingeschränkt. Das Einkaufen von günstigen Reiseartikeln beim Onlinehändler Ihrer Wahl, Suche und Wahl der kostengünstigsten Reisemöglichkeit im Netz oder per mobiler App, ein einfacher Check-in online oder am Selbstbedienungsterminal, schnelles Abheben von Bargeld, die volle Kontrolle darüber, wo genau man aus dem Bus aussteigen muss, bequemes Zahlen per EC—oder Kreditkarte und einen unterhaltsamen Film in der Ferienwohnung anschauen zu können, all das sind Aktivitäten, die nicht behinderte Menschen für selbstverständlich erachten.

Für diejenigen unter uns, die blind, sehbehindert oder anderweitig sensorisch oder körperlich eingeschränkt sind, artet das Vergnügen dieser Aktivitäten oft in Angst und Frust aus. Eine nicht barrierefreie Händlerwebseite erschwert das Auffinden von Produkten, Kontrolle- oder Auswahlkästchen sind nur unzureichend beschriftet, sodass es unmöglich ist, den günstigsten Preis zu wählen. Fahrkarten am Selbstbedienungsautomaten zu kaufen ist ein Ding der Unmöglichkeit, da die meisten Automaten mit flachen Touchscreens ohne eine Sprachführung ausgestattet sind, die ansagt, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Zahlungen an Bezahlterminals oder das Abheben von Bargeld sind unüberwindbare Herausforderungen, da es keine Terminals mit Screenreader oder Vergrößerungssoftware gibt. Hinzu kommt noch die unangenehme Erfahrung, an der falschen Haltestelle ausgestiegen zu sein, da im Bus oder Zug die Haltestellen nicht angesagt wurden, mit diesem Problem waren alle Blinden und Sehbehinderten sicher schon konfrontiert. Selbst einen Film im Fernsehen als verdiente Belohnung nach all den Mühen anzuschauen führt oft zu noch mehr Ärger und Frust. Der Fernseher hat keine fühlbaren Knöpfe, und die Fernbedienung ist flach und hat nur eine durchgehende Oberfläche, also können Sie nicht einmal Ihren Lieblingssender einstellen. Elektronische Programmführer haben kein sprachgeführtes Menü, das die Navigation auf dem Bildschirm erklärt. Haben Sie zufällig doch einen Film ausgewählt, haben Sie vielleicht keinen Schimmer von der Handlung, weil es keine Audiodeskription gibt. Technologie und Wissen, wie man diese Barrieren abbaut, gibt es bereits. Die Tatsache, das einige Geldautomaten, Telefone, Computer, Fernseher, usw. für Blinde und Sehbehinderte barrierefrei zugänglich sind, belegt dies. Die meisten dieser Geräte sind jedoch immer noch nicht barrierefrei. Solange ein inklusive Design nicht per Gesetz vorgeschrieben ist, bleiben die meisten Geräte für blinde und sehbehinderte Menschen nach wie vor unerreichbar.

Im Dezember 2015 brachte die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag zu einer Richtlinie für ein umfassendes“Europäisches Barrierefreiheitsgesetz“ (EBG) ein, das Barrierefreiheit als übergreifende Anforderung auf verschiedenen Gebieten definiert und verbindliche funktionelle Anforderungen für Barrierefreiheit vorschreibt. Frühere Gesetze haben sich auf einen bestimmten, spezifischen Bereich konzentriert, wie etwa das Mandat für die öffentliche Hand, ihre Webseiten barrierefrei zu gestalten oder Richtlinien, die Anbieter öffentlicher Dienstleistungen zu Barrierefreiheit ihrer Produkte für barrierefreie Dienstleistungen verpflichtet haben, usw. Einige Anforderungen zu Barrierefreiheit sind bereits in EU-Verordnungen eingeflossen, es gibt jedoch keine separate, kohärente Verordnung. Das Europäische Barrierefreiheitsgesetz verfolgt einen horizontalen Ansatz, der eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen auf verschiedenen Gebieten umfasst. Es soll Lücken in anderen Gesetzen schließen und den Begriff Barrierefreiheit mit Leben und einer konkreten Bedeutung füllen.

Der Vorschlag zu einem EBG umfasst Computerhardware und Betriebssysteme, Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-in-Automaten, Telefone und Smartphones, Tablets, Fernseher, online Shopping, Banking Dienste, E-Books und Webseiten von Verkehrsunternehmen sowie die zugehörige Infrastruktur für Busse, Züge und den Verkehr zu Wasser. Eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die EU-Fördermittel erhalten, müssen die Kriterien des Europäischen Barrierefreiheitsgesetzes erfüllen.

Die EBU begrüßt den Vorschlag der Kommission, der einen weiter gefassten, ehrgeizigen Wirkungsrahmen für das Gesetz vorsieht. Dennoch sind wir der Ansicht, dass das Gesetz einige wichtige Punkte in Bezug auf Barrierefreiheit außer acht lässt, die im Alltag und für die Selbstständigkeit blinder und sehbehinderter Europäer äußerst wichtig wären.

Bei vielen unter Behinderten durchgeführten Umfragen werden Haushaltsgeräte mit am häufigsten als nicht barrierefreie Produkte im Alltag erwähnt. Da digitale Technologien sich schnell weiterentwickeln und es dem Nutzer ermöglichen, seine Haushaltsgeräte per Smartphone oder Internet zu steuern, wäre unserer Ansicht nach jetzt der richtige Zeitpunkt, verbindliche Kriterien für Barrierefreiheit von Nutzerinterfaces festzulegen, um die Lücke eines nicht barrierefreien Touchscreens hin zur Vereinfachung der Bedienung und Kommunikation per Smartphone zwischen Nutzer und Haushaltsgerät zu schließen.

Neben Geldautomaten müssen auch verbindliche Anforderungen zur Barrierefreiheit von Bezahlterminals festgelegt werden. Diese sind als bargeldloses Zahlungsmittel weit verbreitet und werden aller Wahrscheinlichkeit nach Geldautomaten ablösen. Die Barrierefreiheit dieser Geräte ist unabdingbar, um zu gewährleisten, dass Blinde und Sehbehinderte einfach und auf vertrauliche Weise für Waren und Dienstleistungen bezahlen können.

Eines der Ziele des EBG ist es, eine Konvergenz zwischen nationalen Gesetzen und Anforderungen zur Barrierefreiheit zu erreichen und harmonisierte Mindestanforderungen für die Vereinfachung, Durchsetzung und Überwachung von Barrierefreiheit auf EU-Ebene einzuführen. Es muss aber dringend darauf hingewiesen werden, dass es den Mitgliedstaaten durchaus gestattet ist, “mehr zu tun” und über die Anforderungen des Barrierefreiheitsgesetzes hinaus zu gehen, das als gute Basis gesehen werden kann, aber keineswegs den bestmöglichen Standard für Barrierefreiheit als Maßstab darstellt.

Der Vorschlag der Kommission ermöglicht es den Mitgliedstaaten, die gebaute Umwelt bei Verkehrsdienstleistungen für Fahrgäste sowie die gebaute Umwelt für Kunden von Bankdienstleistungen, Servicecenter für Kunden und Geschäfte im Rahmen von Telefondienstleistungen in ihre nationalen Bestimmungen für Barrierefreiheit einzubeziehen. Leider liegt diese Angelegenheit bei den Mitgliedstaaten. Die EBU ist der Ansicht, dass es äußerst wichtig ist, diese schwache Bestimmung in eine verbindliche umzuwandeln, um zu gewährleisten, dass die gebaute Umwelt rundum die Waren und Dienstleistungen zu dieser Richtlinie barrierefrei konstruiert wird. Indem man die Barrierefreiheit der gebauten Umwelt nicht zur Pflicht macht, wird die Position des gesamten Gesetzes geschwächt und die Barrierefreiheitsprinzipien aus Art. 9 der UNBRK werden nicht erfüllt.

Das EBG führt Verpflichtungen für sämtliche Wirtschaftsteilnehmer an der Handels-, Zulieferungs- und Verarbeitungskette von Waren und Dienstleistungen ein. Daran sind Hersteller, Importeure sowie Groß- und Einzelhändler beteiligt. Alle Wirtschaftsteilnehmer sind verpflichtet, zu gewährleisten, dass die Produkte und Dienstleistungen im Einklang mit den Anforderungen für Barrierefreiheit dieser Richtlinie stehen. Man geht dann von einer Konformität aus, wenn die Barrierefreiheit der Produkte und Dienstleistungen die Anforderungen der Richtlinie und zusätzlich verabschiedete EU-weite Standards und Spezifikationen erfüllen, die Detailliert beschreiben, wie die funktionellen Anforderungen praktisch umgesetzt werden können. Hersteller müssen ein technisches Dokument verfassen, das detailliert aufführt, wie und in welchem Maße das Produkt Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt. Dieser interne Evaluierungsprozess wird mit einer Konformitätserklärung abgeschlossen, in der der Hersteller erklärt, dass das Produkt den Barrierefreiheitsanforderungen entspricht. Der Hersteller muss gewährleisten, dass aktualisierte Versionen des Produkts diesen weiterhin entsprechen. Wir haben oft genug Fälle erlebt, wo die ersten Versionen von Produkten oder Dienstleistungen vollständig barrierefrei waren, die neuen Features nach Updates jedoch nicht. Groß- und Einzelhändler, die diese Produkte verkaufen oder einführen, müssen ebenfalls gewährleisten, dass die Produktevaluierung korrekt durchgeführt wurde und die nötige Dokumentation vorliegt. Das hört sich vielleicht sehr formell und unbedeutend an, diese Maßnahmen befähigen aber die nationalen Überwachungsorgane des jeweiligen Marktes, die die Befugnis haben, regelmäßig die Barrierefreiheit von Produkten zu prüfen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Weitervertrieb nicht barrierefreier Produkte zu verbieten, Wirtschaftsteilnehmer zu Maßnahmen zu veranlassen, die die Produkte barrierefrei machen und sich mit Überwachungsorganen aus anderen EU-Ländern auszutauschen, um eine korrekte Anwendung der Richtlinie innerhalb der EU zu gewährleisten.

Da die Überwachung von Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit Neuland ist, sind die Mitgliedstaaten gesetzlich dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Konformitätsprüfung der Anforderungen dieser Richtlinie festzulegen und Behörden zur Überwachung ihrer praktischen Umsetzung zu ernennen, Beschwerden von Verbrauchern und Vertreterorganisationen nachzugehen und die Mitgliedstaaten über die Nichteinhaltung bei Dienstleistungen zu informieren. Auch muss die Öffentlichkeit über die Existenz und Verantwortungsbereiche dieser Behörden informiert werden.

Die Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, Regelungen für Strafmaßnahmen beim Verstoß der nationalen Gesetze gemäß der Richtlinie zu erlassen und sämtliche notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Umsetzung zu gewährleisten. Strafmaßnahmen für Anbieter von Dienstleistungen oder Hersteller, die ihre Produkte und Dienstleistungen absichtlich nicht barrierefrei gestalten, müssen effektiv, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Leider gewährt das Gesetz einige Ausnahmen, die es Herstellern und Anbietern von Dienstleistungen ermöglichen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu machen. Wirtschaftsteilnehmer können mit einer unverhältnismäßigen Belastung argumentieren, wenn sie glaubhaft nachweisen können, dass die Barrierefreiheit ihrer Produkte oder Dienstleistungen diese hinsichtlich Art und Zweck derart verändern würde, dass natürliches Erscheinungsbild und Funktion nicht beibehalten werden können. Außerdem können Größe, Art und Ressourcen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers geeignete Argumente für eine unverhältnismäßige Belastung sein. Gleiches gilt für geschätzte Kosten und den Nutzen für die Behörden in Bezug zum geschätzten Nutzungsvorteil für behinderte Menschen, wenn man Nutzungshäufigkeit und –Dauer des Produkts oder der Dienstleistung berücksichtigt. Die Evaluierung, ob die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen eine unverhältnismäßige Belastung darstellt, muss vom Wirtschaftsteilnehmer selbst durchgeführt werden, der die jeweilige Behörde des EU-Mitgliedstaates informieren muss, in dem Produkt oder Dienstleistung eingeführt werden.

Die EBU begrüßt die Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen dieser Richtlinie, ist jedoch der Ansicht, dass sie erweitert werden müssen, um Transparenz und Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer zu erhöhen. Zudem sollte sie eine aktive Teilhabe von Behinderten und ihrer Vertreterorganisationen beinhalten. Kleine und Mittelständische Unternehmen sollten ebenfalls dazu verpflichtet werden, ihre Konformitätserklärung bei den zuständigen Behörden abzugeben, und nicht nur auf Wunsch. Für den Markt zuständige Behörden müssen dazu verpflichtet werden, die Evaluierung zur Ausnahme einer unverhältnismäßigen Belastung zu prüfen. Zur Schaffung kohärenter Prinzipien zur Evaluierung von Ausnahmen müssen Mitgliedstaaten, nationale Behörden und Behindertenorganisationen diese in einem strukturierten Dialog entwerfen und festigen. Die Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten dazu ermutigen, Leitfäden und Verfahren für kleine Unternehmen auszuarbeiten, um ihnen die Umsetzung zu erleichtern, was mit Behinderten und ihren Vertreterorganisationen gemeinsam erfolgen muss. Wenn der Vorschlag der Kommission weiterhin vage und unklare Evaluierungskriterien für eine unverhältnismäßige Belastung enthält, befürchten wir, dass diese Ausnahme die Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie in Gefahr bringt, da nicht eindeutig festgelegt ist, welche Parameter zum Ermessen einer “unverhältnismäßigen Belastung” Anwendung fänden und wie dies in der Praxis durchgesetzt werden würde. Eine direkte Einbeziehung der Behindertenorganisationen würde einen kohärenten Ansatz für Ausnahmen gewährleisten, wodurch eine Nutzungsprüfung der jeweiligen Ausnahme durch technische Experten für Barrierefreiheit ermöglicht würde.

Schließlich ist es wichtig, dass die Überwachungsbehörden des jeweiligen Marktes über die nötigen Ressourcen, Personal und Wissen verfügen, um die Evaluierung des Herstellers eingehend prüfen zu können. Interessengruppen sollten ebenfalls einbezogen werden, damit die Prinzipien, Richtlinien und Maßstäbe, die zur Evaluierung eingesetzt werden, kohärent und angemessen sind.

Die Richtlinie muss Leitlinien und Rechtsmechanismen beinhalten, die eine ausgewogene Vertretung zwischen Schlüsselfiguren aus der Industrie und anderen Interessenvertretern, wie etwa behinderte Experten aus Vertreterorganisationen, bei Standardisierungsverfahren gewährleisten.

Die EBU ist der Ansicht, dass es äußerst wichtig ist, zusätzlich zur C-Kennzeichnung (Konformitätskenzeichnung) ein einfaches, sichtbares und präzises Zeichen auf der produktverpackung  anzubringen, das das Produkt als barrierefrei ausweist. Das C-Kennzeichen allein ist noch nicht an das Kriterium Barrierefreiheit gekoppelt, und die Verbraucher sind sich eingebauter Funktionen zur Barrierefreiheit des Produkts vielleicht gar nicht bewusst.

Der Kern des EBG, Anhang 1, listet funktionelle Barrierefreiheitsanforderungen detailliert auf, die es Standardisierungsgremien und Wirtschaftsteilnehmern nach Verabschiedung dieser Richtlinie ermöglichen, Standards und technische Spezifikationen zu entwickeln. Nachfolgend Einige allgemeine funktionelle Barrierefreiheitsanforderungen, die für alle Sektoren gelten:

  • Bereitstellung verschiedener sensorischer Ansätze zur Barrierefreiheit, um es Nutzern mit verschiedenen Bedürfnissen zu ermöglichen, das Produkt/die Dienstleistung zu erkunden und damit zu interagieren,
  • Die Bereitstellung von Optionen, um Schriftgröße, Farbe und den Kontrast der auf dem Bildschirm angezeigten Informationen anzupassen,
  • Betriebsarten bereitzustellen, bei denen zwischen Text oder Alternativen gewählt werden kann, die Informationen mit Piktogrammen darstellen sowie andere alternative Formate anzubieten,
  • Die Möglichkeit das Produkt/das Interface der Dienstleistung mit digitalen, persönlichen Assistenten zu verbinden, um eine größtmögliche Barrierefreiheit zu gewährleisten.

Die EBU ist der Kommission für ihr ehrgeiziges Ziel sehr dankbar, konkrete funktionelle Anforderungen anzubieten, die sich mit den Zielen der Richtlinie decken. Dennoch sind wir der Ansicht, dass diese Anforderungen klarer präsentiert und durch weitere funktionelle Anforderungen ergänzt werden könnten, die die Funktionen eines Produkts oder einer Dienstleistung herausstellen, die der Nutzer verstehen, wahrnehmen und bedienen können sollte.

Diese zusätzlichen Anforderungen sollen anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Die Dienstleistungen und mobilen Anwendungen von Banken und zugehöriger Terminals sollten ihre Inhalte in einfacher, klarer, präziser und verständlicher Sprache anzeigen. Menschen mit und ohne Behinderungen haben große Schwierigkeiten beim Verstehen und Befolgen der Anweisungen, die ihre Banken anzeigen, da diese oft in schwer verständlicher Sprache gehalten sind. Daher ist diese zusätzliche Anforderung sehr wichtig, um eine barrierefreie Interaktion zu gewährleisten.

Über den Vorschlag der Kommission zum EBG wird derzeit im Europäischen parlament und im Rat verhandelt. Beide Institutionen haben seit über 18 Monaten versucht, Vorschläge einzubringen, die den Entwurf zum Besseren wenden oder sogar dessen Bemühungen zu einem vagen, abgeschwächten Gesetz herabstufen könnten. Der Führungsausschuss IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz) des Europäischen Parlaments hat einen sehr enttäuschenden Abschlussbericht vorgelegt, der Änderungen Vorschlägt, durch die die Bedürfnisse von Unternehmen über die Rechte von Behinderten und Senioren gestellt werden. Der Bericht weicht den Vorschlag der Kommission derart auf, dass die Gefahr besteht, dass das Europäische Barrierefreiheitsgesetz für Millionen Menschen in Europa bedeutungslos wird.

Umfassende Neuigkeiten über die Verhandlungen und die vorgeschlagenen Änderungen der EBU, um den Entwurf der Kommission für ein mächtiges Werkzeug zu schützen und auszubauen, stehen bald online auf der EBU-Website. Es folgt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten negativen Änderungen, die IMCO trotz starker Lobbyarbeit von EDF und EBU und der Zusicherungen von IMCO-Mitgliedern, man werde sich für eine starke und solide Richtlinie einsetzen, vorgelegt hat:

  • Ausschluss von Kleinstunternehmen: Falls er angenommen wird, würde dieser Ausschluss einen großen Verlust barrierefreier E-Books und keinen Spaß am online Einkaufen für Blinde und Sehbehinderte bedeuten, da die meisten Onlinehändler und E-Book-Verlage kleine Unternehmen sind.
  • Begrenzt die Kopplung auf die öffentliche Hand und Strukturfonds der Europäischen Union (EU): Es kann sein, dass Geld aus EU-Finanzmitteln und von Steuerzahlern dafür verwendet wird, ein Schulgebäude eine Bibliothek zu finanzieren, die nicht barrierefrei sind, da es noch keine verbindlichen Barrierefreiheitsanforderungen gibt. Geht man auf diese Schule oder will die Möglichkeiten dieser Bibliothek nutzen, wird das also für viele Schüler oder Leser mit Behinderungen in Europa unmöglich sein.
  • Befreit sowohl kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) und Kleinstunternehmen von der Meldepflicht bei Behörden: Ein  “kleines” Unternehmen von bis zu 250 Mitarbeitern kann nach wie vor nicht barrierefreie Produkte herstellen, ohne die Behörden informieren zu müssen, wenn sie der Ansicht sind, dass ihre Produkte barrierefrei zu machen ein zu hoher Aufwand wäre. Daher wird es praktisch schwierig zu überprüfen, ob sie die Barrierefreiheitsanforderungen korrekt anwenden.

Wenn man sich diese düsteren Aussichten vor Augen führt, müssen wir um so mehr für ein ehrgeiziges Gesetz kämpfen, das wir dringend brauchen, um Europa in ein barrierefreies Europa für alle zu verwandeln. Nationale Regierungen, Parlamentsmitglieder und Schlüsselfiguren aus der Industrie müssen begreifen, dass eine Investition in Barrierefreiheit sich als zukunftssichere Investition erweisen wird, die langfristig der Gesellschaft zugutekommt, Wachstum und technische Innovationen voranbringt und den Weg für eine inklusivere und von Gleichheit geprägte Gesellschaft für behinderte Menschen ebnet.

Jessica Schröder

, Referentin für internationale Angelegenheiten, DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband)